Das neue Erzählen

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„Geschichten werden erzählt, um etwas zu vertreiben. Im harmlosesten, aber nicht unwichtigsten Falle: die Zeit. Sonst und schwerwiegend: die Furcht. In ihr steckt sowohl Unwissenheit als, elementarer, Unvertrautheit.“ (Hans Blumenberg)

Bei Storytelling & Co. scheint es sich, wenn man die Beachtung die dem Thema entgegengebracht wird, um eine Art heiliger Gral zu handeln. Was natürlich auch nicht verwundert, da es sich hierbei ja um eine existenzielle Grundsache handelt. Auch die Biennale des bewegten Bildes 2013 widmet sich mit ihrem Motto „Expanded Narration. Das neue Erzählen“ diesem Themenkomplex. Als theoretische Begleitung ist hierzu ein interessanter Reader im Transcript Verlag erschienen.

Unter anderem schreibt der Philosoph Martin Seel Interessantes zu den Grundlagen des Erzählen. Über dessen Wesen im Allgemeinen sagt er:

„Das Erzählen gibt einen durchaus anderen Aufschluss als ein nomologisches Erklären, mit dem das kontingent Erscheinende auf gesetzmäßige Verläufe zurückgeführt wird. Denn Erzählungen sind auf eine Darstellung der Individualität faktiver oder fiktiver biographischer und historischer Prozesse spezialisiert, die sich einer gesetzmäßigen Rekonstruktion entziehen.“

In Bezug auf das Was und Wie einer Erzählung führt er aus:

„Durch das Wie der Erzählung lassen sie dabei – mit der Wahl ihrer Worte, mit der Auswahl von Szenen, in der Komposition von Anfang und Ende, im Verweilen bei bestimmten Ereignissen und im Übergehen anderer, in der Verzögerung und Beschleunigung des Handlungsverlaufs und durch viele andere stilistische Mittel – ein spezifisches, auf die eine oder andere Weise wertend gefärbtes Licht auf das Was des dargebotenen Geschehens fallen. Jede Erzählung gibt unausweichlich eine Deutung dessen, wovon sie erzählt.“

Für den Trend vom passiven Betrachten der Geschichten hin zum erfahrungsorientierten aktiven Teilnehmen gibt Michel Reilhac (Exekutivdirektor bei arte) praxisnahe Tipps. Ihm ist es dabei wichtig, an der jahrhundertealten Tradition des Geschichtenerzählens anzuknüpfen und sich nicht von technischen Möglichkeiten und der transmedialen Erzählform ablenken zu lassen. Er erinnert, dass das ist was zählt immer noch die Geschichte ist und es auch schon eine Herausforderung ist, das Engagement beim passiven Publikum anzusteuern. In Bezug auf die heutige Generation der digital Aufgewachsenen stellt er fest:

„Sie wollen Fiktion in der Realität. Sie wollen in die Rolle einer anderen Person schlüpfen, sie wollen wie Kinder in ihren fiktiven Reichen spielen, die für einen Moment eine abwechslungsreiche Realität werden.“

Wer dieses Phänomen etwas anschaulicher erleben möchte, dem sei übrigens der Film „The Institute“ empfohlen. Und wenn Reilhac noch einmal mahnt, dass wir nach zu viel Faszination für Tools und Möglichkeiten uns jetzt wieder mehr mit der Emotion, als der wesentlichen Sache von Erzählungen beschäftigen sollten, bietet es sich durchaus an, sich mit den „Frankfurter Poetikvorlesungen“ von Alexander Kluge vertraut zu machen.

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„Erzählung ist was jeder über irgend etwas das auf irgendeine Weise geschehen kann geschehen ist geschehen wird auf irgendeine Weise zu sagen hat.“ (Gertrude Stein)

 

 

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By David Gilbert

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